Stolper Kalenderblatt

vor 100 Jahren (Jan./Febr.)

von Klaus-Peter Kohlhas (Kommentare: 0)

Abschreckung von Auswanderern nach Brasilien 1890

Abschreckung von Auswanderern nach Brasilien

Quelle: Kreisblatt des Stolper Kreises, Jahrgang 1890 Abschrift: Klaus-Peter Kohlhas

Berlin, den 19. Februar 1890

An die Minister des Innern und für Handel und Gewerbe

Aus Ihrem Bericht vom 18. Februar d. Js. habe ich mit Mißfallen entnommen, daß in wiederholten Fällen, namentlich in den Regierungsbezirken Stettin und Cöslin Landbewohner durch falsche Vorspiegelungen zur Auswanderung nach Brasilien verlockt worden sind und heimlich nach Bremen sich begeben haben, in der trügerischen Hoffnung von dort aus nach Brasilien weiter befördert zu werden. Ich will, daß dem gemeingefährlichen Treiben der Auswanderungsagenten, durch welches ein Theil meiner Unterthanen verlockt wird, unter Nichtachtung ihrer Pflichten gegen das Vaterland, unter Schädigung ihrer Angehörigen und unter Bruch ihrer Arbeitsverträge sich dem Elende preiszugeben, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln entgegengetreten und insbesondere, auch in geeigneter Weise auf Belehrung der Betheiligten hingewirkt wird. Ich beauftrage Sie, dementsprechend die Regierungs-Präsidenten in Stettin und Cöslin mit den erforderlichen Weisungen zu versehen.

Dieser Erlaß ist durch die Kreisblätter bekannt zu machen. (gez.) Wilhelm R. (ggez.) Herrfurth.  Frhr. v. Berlepsch.

Anmerkung: Soweit das Missfallen des Königs und seine klare Weisung an die beiden Minister. Landrat Hans v. Puttkamer lässt daraufhin den „Erlebnisbericht“ der Gebrüder Gill aus Bewersdorf erstellen, der natürlich nicht durch die beiden Tagelöhner verfasst wurde, sondern so geschrieben ist, dass er mit möglichst abschreckender Wirkung „in geeigneter Weise auf Belehrung der Betheiligten hinwirkt“. Wer der Unterzeichnete Carl v. Vegesack ist, muss offen bleiben. Als Gutsbesitzer in Bewersdorf ist er bei Pagel nicht aufgeführt.

Stolp, den 28. März 1890

Obgleich alle vernünftigen Leute schon jetzt eingesehen haben, daß der Auswanderung nach Brasilien nur ein betrügerischer Schwindel zu Grunde liegt, und wohl kaum mehr Gefahr vorhanden ist, daß Auswanderungslustige auf diesen Schwindel eingehen und sich ins Elend begeben werden, so halte ich es doch noch für nützlich, die Erlebnisse von zwei Auswanderern, welche im Jahre 1888 nach Brasilien gegangen, aber in demselben Jahre noch wieder zurückgekehrt sind, nachdem sie ihre ganzen nicht unbedeutenden Ersparnisse zugesetzt haben, hiermit zur Warnung für Jedermann öffentlich mitzutheilen. – Die  enttäuschten Auswanderer sind die Gebrüder Carl und Ferdinand Gill in Bewersdorf bei Dammen, welche glücklich sind, auf ihrer alten Brodstelle als Tagelöhner in Bewersdorf wieder untergekommen zu sein.

Der Landrath.

Verhandelt Bewersdorf, den 23. März 1890

Auf Verfügung eines Königlichen Landraths vom 13. März 1890 sub Jr. No. 653 II, betreffend die Auswanderung der Gebrüder Gill aus Bewersdorf nach Brasilien, erscheinen die Gebrüder Carl und Ferdinand Gill vor dem Unterzeichneten und sagten Folgendes aus: Durch unsere seit 15 Jahren in Brasilien lebende Schwester Wilhelmine überredet, veräußerten wir unsere Habseligkeiten und zogen mit einem Capital von 2350 Mk. zusammen am 18. März 1888 mit unseren Familien über Bremen nach Brasilien. Nach 8wöchentlicher Fahrt landeten wir in St. Franzisko, von dort begaben wir uns nach Dona Franzisko, wo unsere Schwester ein kleines Grundstück besitzt. Nachdem wir uns einige Zeit bei unserer Schwester aufgehalten, wurden wir per Karre in den Urwald, mit ungeheuer gebirgigem Terrain geschafft, wo wir uns das Land urbarmachen sollten, jetzt erst sahen wir, wie unsere Erwartungen durch falsche Vorspiegelungen getäuscht worden waren. Um solch' Stück Urwald mit solchen Baumriesen, wie sich dieselben dort vorfinden, urbar zu machen, um eine Familie davon kümmerlich ernähren zu können, gehören Jahre unausgesetzter Arbeit und großes Capital, um sich in den ersten Jahren zu ernähren. Abgesehen davon sind die klimatischen Verhältnisse für uns Europäer kaum zu ertragen; neben einer großen Menge dort vorkommenden Ungeziefer wie Schlangen und Fliegen, des Nachts war man sogar in den Hütten vor den Insekten nicht sicher; auch ist dort die Gefahr vor räuberischen Ueberfällen eine große. Dieses alles und die uns fremde und dürftige Ernährung lehrte uns bald einsehen und schmerzlich bedauern, daß wir unsere sichere Stellung als Tagelöhner aufgegeben und ins Ungewisse hinausgezogen waren. Das Drängen und Jammern unserer Frauen und da wir auch noch über die Mittel zur Rückfahrt verfügten, beschlossen wir so rasch als möglich unsere Rückreise nach Europa anzutreten, wo wir glücklich und wohlbehalten am 23. August 1888 in Bewersdorf eintrafen, mit einem Kassenbestand von zusammen 4 Mk. Unsere Schwester Wilhelmine sagte uns auf unser Befragen, weshalb sie uns hätte nach Brasilien kommen lassen, es sei geschehen um dort Gesellschaft zu haben. Nach unserer Rückkehr wurden wir in Bewersdorf wieder aufgenommen, sind glücklich und zufrieden und können nur jedem rathen sich durch falsche Vorspiegelungen nicht verleiten zu lassen und sein sicheres Stück Brod hier aufzugeben und in das Land des Elendes zu ziehen.

g. u. gez. Carl Gill. 

g. u. gez.Ferdinand Gill.

 

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