Das Gut in Neujugelow

Wer sich Neujugelow aus Richtung Altjugelow kommend näherte, stieß als erstes auf das rechts der Straße gelegene Gut.

Bis wenige Jahre nach der Jahrtausendwende standen noch Teile der langgestreckten Stallungen und war die einstige Hofanalage ohne Gutshaus erkennbar. Wenn mein Großvater Fuhraufträge für das Gut erledigte, war mein Vater oft mit ihm auf dem Gutsgelände und gelangte dabei auch in das Innere des Gutshauses. Nach seinen Schilderungen war dieses mit dunklem Holz getäfelt. Die Anordnung der Gebäude wurde auf dem Foto zur Veranschaulichung markiert. Heute erinnert nichts mehr an die Jahrhunderte alte Geschichte dieses Platzes. Lediglich die unmittelbar angrenzende fußballfeldgroße Koppel für Fohlen und Kälber ist- von einer Buchenhecke gesäumt- gut erkennbar. Zum Gut gehörten ehemals die Vorwerke Pottack, Malenz, Ruhleben und der als Schäferei angelegte spätere Ortsteil Friedrichsfelde.

Der letzte Besitzer des Restgutes- Oswald Zander- wird als „baumlanger“ Mann beschrieben. Nach Einmarsch der sowjetische Streitkräfte soll er sich in der Nähe versteckt gehalten haben. Mein Vater berichtet, dass die Kinder miterlebten, wie Oswald Zander von drei bewaffneten Polen, gefesselt durch den Ort geführt wurden. Während sich die Gruppe in Richtung des (neuen) Friedhofes bewegte, folgten die Kinder ihnen seitlich durch die Wiesen. Einer der Männer gab schließlich Schüsse ab, um die Kinder zu vertreiben. Die Kinder verloren die Gruppe daraufhin aus den Augen. Schließlich fielen weitere Schüsse am Friedhof. Oswald Zander wurde außerhalb des Friedhofes, an einer Ecke der Feldsteinmauer begraben. Noch heute lässt eine Bodeneinsenkung sein Grab für ein geübtes Auge erkennen.

Für Emmka

 

Dies ist das einzige erhaltene Foto, das eine Teilansicht des Wohnhauses meiner Großeltern zeigt. Im Vordergrund Tante Irma, eine Schwester meiner Großmutter, die oft und gern mit ihren Kindern aus Berlin zu Besuch kam. Der Großvater holte sie stets mit dem Fuhrwerk am Bahnhof der Stolpetalbahn in Budow ab. Bei der Person im Hintergrund handelt es sich um Emmka, das Dienstmädchen  der Familie. Ihr vollständiger Name und ihre Herkunft sind nicht bekannt. Sie wurde von allen stets nur  „Emmka“ gerufen. Als die Familie das Fuhrwerk bereit machen musste, um vor der herannahenden Front zu  flüchten -so schilderte meine Tante- hatte Emmka Angst, den Hof zu verlassen und war durch nichts dazu zu bewegen, mit auf den Wagen zu steigen. Emmka blieb allein auf dem Hof zurück. Jener Teil des Trecks, dem meine Großeltern angehörten, flüchtete durch den Wald in Richtung Lupow. Damit führte der Fluchtweg den herannahenden sowjetischen Streitkräften genau entgegen. Nach Plünderung, Wegnahme der Pferde und Gefangennahme meines Großvaters, kehrte meine Großmutter mit den Kindern zu Fuß nach Hause zurück. Der unmittelbar am  Ortseingang gelegene Hof war zu diesem Zeitpunkt bereits  von den Sowjets besetzt, als Truppenquartier genutzt und wurde schließlich angezündet. Meine Großmutter und die Kinder, denen ein deutsch sprechender Offizier zunächst ein Zimmer zugebilligt hatte, mussten ohnmächtig zusehen, wie der gesamte Hof mit allem Vieh ein Opfer der Flammen wurde. Ihnen blieb ihr nacktes Leben erhalten. Emmkas Leiche wurde erst einige Zeit später im angrenzenden Wald von Herrmann Schwede gefunden. “Schwedes Herrmann“, der oft bei meinen Großeltern vorbei schaute, trug nach Schilderung meines Vaters stets eine gründe Lodenjacke und einen Jägerhut. Sein Name ist auf den Transportlisten 1947 verzeichnet.

Herrmann Schwede und meine Großmutter haben Emmka an Ort und Stelle im Wald am Hexenberg bestattet. Ihr sind diese Zeilen gewidmet.

K. Lübeck