Zur Geschichte von Neu Jugelow bis 1945

Neu Jugelow

Das alte Neu Jugelow kenne ich selbst nur aus den Erzählungen meiner Großmutter Elfriede Lübeck, meines Vaters Egon und seiner Geschwister Erhard, Erika und Wilfried, hier auf dem nachfolgenden Foto (ohne Wilfried) mit meinem Großvater Reinhard Lübeck. Die Aufnahme entstand um 1943. Meine Familie ist ihrer pommerschen Heimat bis heute eng verbunden und ich möchte mit dem, was ich aus Berichten, Erinnerungen und eigenen Beobachtungen zusammenfassen konnte dazu beitragen, die Ortsbeschreibung Pagels über Neu Jugelow mit Leben zu erfüllen.

Neu Jugelow liegt auch heute noch recht idyllisch inmitten von Wiesen und Feldern, umgeben von ausgedehnten Mischwäldern und sandigen Hügelketten. Von den 1925 mit 50 angegebenen Wohnhäusern sind nur noch wenige Häuser erhalten. Noch in den 90-er Jahren bot der Ort eine - wenn auch lückenhafte, so doch durchgehende Bebauung links und rechts der Dorfstraße. Insbesondere in den letzten 10 Jahren fiel ein großer Teil der inzwischen maroden Bausubstanz dem Abriss zum Opfer. Im Bereich des alten Feuerlöschteiches sind allerdings zwei neue Häuser entstanden. Heute leben weniger als 50 Einwohner im Ort, die angrenzenden Ortsteile nicht eingerechnet.

Gaststätte Wolff

Aus Richtung Puttkamerhof von der einstigen Poststraße nach Danzig aus kommend, erreicht man den Ort noch heute auf einer schnurgeraden Einfahrtsstraße. An deren rechter Seite im Bereich der Kreuzung befand sich als erstes Gehöft das Gehöft meines Großvaters Reinhard Lübeck. An der alten Kreuzung Ortseingang/Querverbindungen nach Malenz bzw. befand sich in zentraler Lage der Gasthof Wolff. Noch heute ist die Funktion des Gebäudes gut erkennbar. Der Gasthof verfügte über einen Tanzsaal, einen gemütlich eingerichteten Gesellschaftsraum mit einer Sammlung von Geweihen und einen Gastgarten. Hier befand sich auch ein Laden. Bis vor wenigen Jahren befand sich in Wolffs Gasthof noch ein kleiner polnischer „sklep“, der uns bei unseren Aufenthalten in Neu Jugelow das Nötigste praktisch vor der Haustür bot. Das nachfolgende Hochzeitsbild entstand an der Hauswand des Gasthofes. Der Standort lässt sich auch heute aufgrund seiner Fachwerkkonstruktion gut nachvollziehen. Die stolzen Brauteltern und Gasthofbesitzer sind Familie Wolff. Sie sind rechts neben dem Bräutigam deutlich erkennbar. Dieses Foto ist die einzige erhaltene Aufnahme auf der auch weitere Familienangehörige der „Lübecks“ aus Neu Jugelow zu sehen sind. Der Bräutigam, später im Russlandfeldzug vermisst, meine Großeltern Elfriede und Reinhard unmittelbar hinter Wolffs, Tante Lene verehelichte Ulrich mit Onkel Albert und ihren Söhnen Herbert und Karl neben Wolffs, Onkel Willi der später bei der Verteidigung von Lauban in Schlesien einen Arm verlor als Vierter von links in der letzten Reihe und schließlich meine Urgroßmutter Johanne Lübeck, geborene Noffz, neben der Braut. Von „unserer Oma“ hörte ich als Kind viele kleine Geschichten. Hatten mein Vater und sein Bruder wieder einmal Lausbubensachen angestellt, so fanden sie beide unter den weiten Röcken der „Oma“ sichere Zuflucht vor Mutters Zorn. Oma war es auch, die stets Rat wusste und für Ruhe im Haus sorgte. Abends, so weiß meine Tante zu berichten, kamen die Leute aus dem Dorf oft zu ihr, um sich mit ihr zu besprechen. Als ich vor einigen Jahren im Kösliner Kirchenbucharchiv die Lupower Taufbücher in den Händen hielt, staunte ich nicht schlecht, den Namen meiner Urgroßmutter wieder und wieder als Taufpatin vorzufinden. Johanne ist 1942 in Neu Jugelow verstorben. Ihr Grab nahe dem Eingang auf dem neuen Friedhof in Neu Jugelow ist noch vorhanden, der Grabstein zerstört, doch gut erkennbar.

Friedhöfe

Neu Jugelow mit einer mit  einer  Wohnbevölkerung von 455 Personen (1939) verfügte über zwei Friedhöfe.

Der alte Friedhof lag am Weg nach Lupow, rechterhand direkt am Waldrand. Er ist noch heute gut erkennbar. Seine kompakte Findlingsmauer ist nahezu unzerstört. Grabsteine sind vollständig verschwunden.

Bis wann Bestattungen auf diesem Friedhof erfolgt sind konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Der neue Friedhof, auf dem auch mein Urgroßvater Wilhelm Lübeck und meine Urgroßmutter beigesetzt wurden, befindet sich am heute geteerten Weg nach Malenz. Der ausgedehnte Friedhof ist heute von Wald überwuchert und nur noch durch seine flache, lückenhafte Feldsteinmauer erkennbar. Bei genauerem Hinsehen ist der Eingang jedoch zu finden und selbst die zerstörten Eingangssäulen sind noch vorhanden. Inmitten von Brombeergerank und Kiefernbewuchs sind noch Grabreihen und einzelne zerstörte Steine zu finden. Das große Familienbegräbnis der verwandten Familie Ulrich ist unzerstört. Nahe der Straße nach Malenz befinden sich einige noch heute gepflegte Nachkriegsgräber u.a. auch mit dem Namen Pommeranz. Viele der deutschen Gräber verfügten über gusseiserne Grabkreuze. Das Grabkreuz meines Urgroßvaters Wilhelm Lübeck war noch in den 90-er Jahren vorhanden. Altmetallsammler haben auch diese letzten Überbleibsel inzwischen ohne Skrupel beseitigt. Berichten der späteren überwiegend ukrainischen Dorfbewohner zufolge, sei der Friedhof in den 50-er Jahren auf politischen Befehl hin, in einer angeordneten Gewaltaktion zerstört worden.

Besonders wichtig ist es mir, an dieser Stelle auf das Grab von Oswald Zander hinzuweisen. Der letzte Gutsbesitzer von Neu Jugelow wurde hier, außerhalb des Friedhofes, unmittelbar an der Friedhofs-mauer erschossen und verscharrt.

Mein Vater berichtet hierzu wie folgt:

„Plötzlich ging es wie ein Lauffeuer durch das Dorf. Die haben den Zander! Die führen den Zander ab! Wir (Kinder) sahen, wie Oswald Zander, der letzte Guts-besitzer in Neu Jugelow, von drei bewaffneten Männern auf der Dorfstraße entlang geführt wurde. Seine Arme waren auf den Rücken gebunden. Dann schwenkten die Männer am Gasthof ab in Richtung Friedhof. Wir Jungen folgten ihnen in einigem Abstand. Wir schlichen, duckten uns wieder und schlichen dann weiter in kurzen Stücken immer weiter heran. Plötzlich kehrte einer der Männer um und schoss in die Luft. Daraufhin zogen wir uns ein kleines Stück zurück und warteten hinter Ulrichs Scheune ratlos ab. Nach einer Weile fielen Schüsse am Friedhof, die Männer kehrten dann ohne Zander zurück. Niemand traute sich in die Nähe des Friedhofes. Wir fanden später die Stelle mit frisch aufgewühlter Erde außerhalb der Friedhofsmauer.“ Zander soll sich nach Kriegsende auf seinem Gut versteckt gehalten haben. Hier dürfte es sich um einen der unzähligen Fälle handeln, deren Umstände nie ganz aufgeklärt wurden. Mein Vater hat mir im Jahr 2017 die Grabstelle von Oswald Zander gezeigt. Sie befindet sich auf nachfolgendem Foto vorn links.

Schule

Das Schulgebäude ist eines der wenigen Gebäude in Neu Jugelow, das die Zeiten überdauert hat. Es ist auch heute noch deutlich als Schulgebäude erkennbar. Mein Onkel Erhard und Tante Erika besuchten hier die Schule. Die Kinder wurden in einem Schulraum gemeinsam unterrichtet. Meine Tante berichtete, dass in der Schule frühgeschichtliche Funde aus der nahen Umgebung von Neu Jugelow ausgestellt waren. Der Lehrer unternahm auch Wanderungen mit den Kindern zu diesen Fundplätzen. An den Besuch eines Steinkreises konnte sie sich noch gut erinnern.

 

Mein Vater wurde hier nach Kriegsende, vermutlich im Frühjahr 1946. Zu dieser Zeit fand wieder deutscher Unterricht statt. Der Schulbesuch war allerdings nur etwa ein halbes Jahr lang möglich. Die Kinder wurden von einer Lehrerin unterrichtet. Mein Vater erinnert sich, dass die Lehrerin täglich von einer anderen Familie zum Mittag versorgt wurde.

Während der Erntezeit gab es hier auch eine Kindertagesbetreuung für Vorschulkinder. Mein Vater berichtet gern darüber, dass er vor seiner Einschulung gern mit seinem Bruder in den Erntekindergarten gegangen sei.

Mit Bus und Bahn

Neu Jugelow verfügte bereits über moderne Verkehrsanbindungen. Ein Kraftomnibus verband den Ort mit der Kreisstadt. Die Linie, von Alt Jugelow her kommend, endete in Neu Jugelow am Gasthaus Wolff. Dort befand sich eine massive Busgarage, in die der Bus abends nach der letzten Tour eingestellt wurde. Manchmal schlief auch der Busfahrer in der angrenzenden Unterkunft, um dann früh von Neu Jugelow aus die erste Linienfahrt zu beginnen. Die Busgarage, direkt gegenüber dem Grundstück Lübeck ist heute noch gut erhalten und wurde inzwischen diversen Nutzungen als Schweinestall und Lagerraum zugeführt.

 

Die nächste Bahnstation befand sich 7 km entfernt in Budow und war mit dem Fuhrwerk durch den Wald gut zu erreichen. Tante Irma, eine Schwester meiner Großmutter kam oft und gern mit ihren Söhnen aus Berlin zu Besuch. Mein Großvater holte sie dann mit dem Fuhrwerk an der Bahnstation der Stolpetalbahn in Budow ab. Für Eisenbahninteressierte wird die noch immer gut erkennbare Streckenführung der Stolpetalbahn mit Resten von Verladerampen und Bahnwärterhäusern von Interesse sein.

Brotbacken

Das tägliche Brot wurde im Backofen der Familie gebacken. Er wurde mit Holz beheizt und befand sich am Ortsrand auf dem Grundstück Lübeck, unmittelbar neben der Straße. Der Ofen wurde von weiteren Familien genutzt. Hierbei stimmten sich die Familien untereinander ab, um die Wärme auszunutzen. Je nach Jahreszeit wurde die Restwärme nach dem Backen zum Dörren von Obst genutzt. Auf dem Foto, Mitte der 70-er Jahre aufgenommen, ist der Backofen noch sehr gut erkennbar. Eine weitere Aufnahme Mitte der 90-er mit meiner Tochter lässt noch immer einen kleinen Hügel erkennen. Der Backofenhügel musste 2017 einer geplanten Baumaßnahme im Umfeld weichen.