Patenschaften

Vom Sinn der Patenschaft

(aus einem Text Mitte der 60er Jahre)

 

Heimat verlieren ist ein hartes Schicksal. Haus und Hof verlassen müssen, aus der vertrauten Atmosphäre gerissen werden, anderswo in einer fremden Umwelt ein neues Leben beginnen und sich zurechtfinden: Das war das Los von Millionen Ostdeutscher nach 1945. Westdeutschland hat sie aufgenommen, ihre materiellen Schäden und Verluste nach Kräften wiedergutgemacht und vielen Vertriebenen und Flüchtlingen wieder ein Gefühl der Geborgenheit gegeben. Sie sind mit den Jahren heimisch geworden hier, aber die Sehnsucht nach dem Dorf, der Stadt, dem Landkreis, in denen sie lebten und nach dem unverwechelbaren Brauchtum der alten Heimat ist geblieben. Je perfekter die Eingliederung in die neue Heimat ist, desto weniger Raum bleibt für die Bewahrung der heimatlichen Sitten, denn sie können nur lebendig bleiben in der Gemeinschaft von Menschen gleicher Herkunft.

Patenschaften westdeutscher Landkreise und Städte über die Heimatkreise und Heimatstädte jenseits von Oder und Neiße wollen den in der Zerstreuung lebenden Ostdeutschen wieder einen Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens geben, in dem sie „ihrer Väter Art und Sitte“ pflegen können und der sich in besonderer Weise ihrer Kulturgüter annimmt, wie es in der Patenschaftsurkunde des Landkreises Bonn zum Ausdruck kommt.

Der Landkreis Bonn als Träger der Patenschaft will aber durch diese besondere Fürsorge für seine „Patenkinder“ und deren einstigen Lebensraum nicht nur seine Verbundenheit mit den Heimatvertriebenen bekunden. Die Menschen hier im Westen sollen sich dadurch auch mit der Geschichte, der Kultur und dem Brauchtum eines Gebietes vertraut machen, das bis vor 20 Jahren in das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben unseres Vaterlandes ebenso einbezogen war, wie die rheinischen Lande, wie Bayern oder Schwaben. Der heutigen Jugend droht dieses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit verloren zu gehen, weil ihr die lebendige Beziehung zu Schlesien, Ostpreußen und Pommern fehlt. Die Patenschaft über einen Kreis oder über eine Stadt aus diesen willkürlich abgetrennten Provinzen hat nicht zuletzt auch die Aufgabe, und die deutsche Vergangenheit der heute von fremden Völkern verwalteten und von Menschen fremder Zunge bewohnten Gebiete zu erinnern und das Wissen darum wachzuhalten.